
Harlan Estate: Von der Vision zum kultigen „First Growth“
Harlan Estate ist eines der absoluten Kult-Weingüter Kaliforniens und hat schon lange Legendenstatus erreicht. Gemeinsam mit einer Handvoll anderer Weingüter schuf Bill Harlan Anfang der 90er-Jahre eine neue Kategorie von Wein aus dem Napa Valley: Rare Weine, die sich als «Cult Cabernet» einen Namen machten. Bill Harlan war so visionär, dass er in den Bergen oberhalb der legendären Blocks von Joe Heitz Martha’s Vineyard Land mit den besten Bedingungen für Cabernet Sauvignon kaufte. Sein Ziel war es, ein amerikanisches «First Growth» zu erschaffen. Betrachtet man die internationalen Bewertungen und die Preisentwicklung, so ist ihm das in Rekordzeit gelungen. Chefredakteur Giuseppe Lauria verkostete am Rheingau Gourmet Festival 15 Jahrgänge dieses super raren und teuren Kultweins: eine denkwürdige «Once-in-a-Lifetime»-Probe mit grandiosem Verwöhn-Dinner von Zwei-Sterne-Koch Rolf Fliegauf und Kronenschlösschens Headchef Roland Gorgosilich.
Drei Jahrzehnte nach dem ersten Jahrgang von Harlan Estate, hat die nächste Generation der Familie Harlan umfassend Verantwortung übernommen. So führt Bills Sohn William seit einigen Jahren das zu Harlan gehörende Weingut Promontory und bereitet dort einen Wein, der in vielerlei Hinsicht völlig anders ist, als das, was typischerweise für das Napa Valley gilt. Ein Wein, der unter minimalem Holzeinsatz vor allem den Ausdruck eines abgelegenen, wilden Ortes widerspiegeln soll, den Bill Harlan bereits in den 80er-Jahren entdeckte.
Harlan Estate wurde 1984 gegründet und befindet sich in den westlichen Hügeln von Oakville – im Herzen des Napa Valley. Das 97 ha große Weingut liegt oberhalb der sagenumwobenen Oakville Benchlands auf einer Höhe von 68 bis 374 m.ü.M. Eine stark hügelige Landschaft sowie die verschiedenen Höhenlagen und Neigungen bieten viele Varianten für den Weinbau. Hauptsächlich wurde Cabernet Sauvignon gepflanzt, aber auch die anderen Bordeaux-Rebsorten: vor allem Cabernet Franc, Merlot und ein bisschen Petit Verdot, um in klimatisch anspruchsvollen Jahren Möglichkeiten zum Blending zu haben. So entsteht hier ein unverwechselbarer Terroir-Wein, der zu den größten Weinen der Welt gehört. Auf der Website ist die Vision kurz und knapp gehalten: «To produce a California First Growth from the hills of Oakville.» Und das ist Gründer Bill Harlan in vorzüglicher Weise gelungen und sein großes Vermächtnis wird von seinem Sohn William erfolgreich weiterentwickelt. Von Anfang an setzte er auf ein starkes Team: seinen Winemaker Bob Levy, seinen Manager Don Weaver und last but not least auf Berater-Legende Michel Rolland. 1990 wurde der erste Wein offiziell vermarktet. Der Blend besteht zu einem Großteil aus Cabernet Sauvignon, mit je nach Jahrgang kleinen Anteilen Merlot und Cabernet Franc. Erzeugt werden jährlich nur rund 22.000 Flaschen des Erstweins, die über eine Mailingliste vertrieben werden.
200-Jahresplan
Alles, was Vater und Sohn Harlan tun, ist auf Perfektion getrimmt. Dabei sagen sie, dass sie Wein als eine Form der Kunst verstehen, wobei die Natur die Rolle des Künstlers übernehmen darf und der Weinmacher selbst als Übersetzer auftritt. Bei dieser Übersetzung überlassen sie nichts dem Zufall: Modernste Technik und Verfahren kommen zum Einsatz, gepaart mit harter Arbeit und höchsten Ansprüchen. Nichts, was die Harlans anfassen, ist zweitklassig oder auf kurzfristige Erfolge ausgerichtet. Im Gegenteil: Alles, was sie tun, ist an einem 200-Jahresplan ausgerichtet, dessen Ziel es ist, der Nachwelt ein Vermächtnis zu hinterlassen. So begann es mit Harlan Estate, mit dieser Perspektive folgten Bond und zuletzt The Mascot, jenes Weingut, das eine Art Einsteigerwein aus den jungen Reben der anderen Güter produziert. Man denkt ganzheitlich, strategisch und in Generationen. Es ist kein Zufall, dass Will zunächst mit (dem übrigens großartigen) The Mascot sein eigenes Label startete und nun die gesammelte Erfahrung als Hauptverantwortlicher für Promontory einbringt, wo er gemeinsam mit Winzer David Cilli die Geschicke des Weinguts lenkt. Die nächste Generation übernimmt die Verantwortung und verfolgt die Vision Bill Harlans weiter. Wie damals bei Harlan Estate ist auch die Vision von Promontory ziemlich revolutionär in der Region. Ein Wein, der ausschließlich in Fudern aus neutralem Holz ausgebaut wird, mit purer Frucht, Eleganz und Terroirausdruck – ungleich der üblichen modernen Kraftboliden aus dem Napa Valley.
Während des Rheingau Gourmet Festivals hatte ich die Gelegenheit, einer weltweit ziemlich seltenen Vertikale von sage und schreibe 15 Jahrgängen dieses raren Ikonenweins (im Schnitt nicht selten zwischen 1000 und 1.500 € pro Flasche) beizuwohnen. Dazu gab es Promontory, The Maiden und einen von Head Sommelier Florian Richter klug eingebauten «Piraten». Auf die Beschreibung der Farbe wird verzichtet. Nur soviel: Die jüngeren Weine bis 10 Jahre hatten ein dunkles Rubinrot mit sattem Kern und violetten Reflexen. Die älteren Versionen tendieren Richtung Rubingranat, dabei zeigen die Weine wenig Rand. Selbst der grandiose 1994er zeigt sich noch relativ saturiert in der Farbe mit opakem Kern.
Das Geheimnis von Harlan: Die Quadratur des Kreises – die Weine haben Power, Konzentration, unglaublich seidige Tannine (vor allem die jüngeren Weine) und Finesse. Ebenso beachtlich sind die Lagerungsfähigkeit und die Jahrgangsdiversität, die man kalifornischen Weinen gerne auch mal pauschal abstreitet.