Im Banne des Vulkans
Mit diesem Artikel gewann ich 2007 einen gut dotierten Journalistenpreis. Es war mein zweiter Artikel überhaupt und einer ersten, die das Thema Ätna-Wein zum Fokus hatten mit damals gerade rund 10 Produzenten, heute sind es über 150 und die Preise für die Weinberge haben sich seitdem nahezu verzehnfacht!
Die aufregendsten Entdeckungen im Weinland Italien sind derzeit auf Sizilien zu machen - vor allem im Südosten, rund um den Ätna.
Auch deshalb ist Sizilien das Ziel einer meiner Weinreisen.
Schon der Landeanflug auf Cacania ist atemberaubend: Vom Tyrrhenischen Meer kommend überfliegen wir gebirgig-karges, schroffes Terrain, das sich immer wieder mit sanft hügeligen , üppig grünen Berglandschaften abwechselt. Unser Blick wandert nach Osten, wo der größte aktive Vulkan Europas majestätisch thront und wo das erste Ziel unserer Weinreise liegen wird. Hier, am Mongibello, dem »schönen Berg«, wie die Einheimischen den Ätna trotz seiner Drohkulisse liebevoll nennen, stößt der Weinbau aufgrund der extremen geo-klimatischen Verhältnisse in den Höhenlagen an die Grenzen des Machbaren. Genau hier, auf den steilen Lavaböden, mit einem für diese Breitengrade erstaunlich kühlen Klima, entstehen aus alten Rebstöcken mit uralten Rebsorten die außergewöhnlichsten Weine Siziliens.
Mit Trachten und Gesang
Der Vulkan ist allgegenwärtig bestätigt später Salvo Foti, gefragter Önologe und einer der Pioniere des Extremweinbaus auf Sizilien.Wir treffen ihn im historischen Keller des Ätna-Vorzeigeweinguts von Giuseppe Benanti an den südlichen Ausläufern des Vulkans in Viagrande, wo wir der eindrucksvollen Inszenierung einer traditionellen Weinlese beiwohnen dürfen: Bunt gekleidete Frauen und Männer in alten Trachten bringen mit Gesängen das Lesegut in aus
Bambusstöcken geflochtenen Körben ein. Im »Palmento«. dem antiken , meist aus Lavastein bestehenden Kelterraum, werden die Trauben rhythmisch mit den Füßen auf dem Boden gestampft. Auch ein Kamerateam der RAI ist da, um die Szenerie für eine Dokumentation über Tradition am Ätna festzuhalten.
»Die Weisungen der Natur«
Was hier nur für die TY-Kameras exerziert wird. ist wenige Kilometer weiter an den nördlichen Hängen des Vulkans bei Solicchiata Realität. Der belgische Aussteiger Frank Cornelissen hat nämlich seine eigene, durchaus streitbare Philosophie und Weltanschauung vom Weinmachen. Er will so wenig wie möglich in den natürlichen Prozess der Weinentstehung eingreifen. »Wir ziehen es vor, den Weisungen von Mutter Natur zu folgen, statt selbst zu entscheiden. Daher vermeiden wir konsequent alle Einmischungen wie chemische, organische oder bio-dynamische Behandlung auf unserem Land.« Er ist der festen Überzeugung, dass eine unkritische Anwendung der modernen Önologie die »natürlichen« Aromen des Weines zerstören«. Er tritt deshalb die Trauben mit Füßen und baut den Wein in Amphoren aus, um die »Geschmacksbeeinflussung durch Holz zu vermeiden«, und er verzichtet gänzlich auf die Zugabe von Schwefel. Natürlich gären die Weine spontan, ohne Zugabe von Hefe. und werden nach einer bis zu 18 Monate währenden Fermentationszeit unfiltriert abgefüllt. Die Resonanz könnte unterschiedlicher nicht sein: Die einen bezichtigen den Winzer aufgrund der Instabilität der Weine der Verbrauchertäuschung, andere sprechen von einem authentischen, terroirgeprägten Wein. mit ungewohont komplexer Aromastruktur und Eigenständigkeit.
»Kühle« Weine vom brodelnden Vulkan
Zurück zu Benanti und seiner Inszenierung: »Glücklicherweise können wir heute anders produzieren«. sagt der Pharma-Unternehmer schmunzelnd. Er hat vor 15 Jahren den Betrieb von seiner Familie übernommen und vor dem Verfall gerettet. Eine typisch sizilianische Geschichte. nicht nur am Ätna: Viele interessante Lagen, gerade an Steilhängen. liegen brach, weil sie wegen der deutlich höheren
Kosten kaum wirtschaftlich sind. Der Winzer-Nachwuchs fühlt sich eher vom industrialisierten Norden als von den bis zu 100 Jahre alten, teilweise wurzelechten Reben in Bäumchenform (alberello) angezogen. »Diese Art von Weinbau erfordert intensive Handarbeit, Feingefühl und Erfahrung im Umgang mit diesem außergewöhnlichen Terroir«, bringt Foti die Herausforderungen auf den Punkt.
Dass nach der Renaissance des Nero d'Avola nun auch die typischen, alten Ätna Rebsorten wie Nere llo Mascalese und Nerello Cappuccio bei den Roten sowie Carricante und Minella bei den Weißen stärker in den Blickpunkt geraten, ist einer Handvoll von Qualitätsfanatikern wie Benanti zu verdanken, die die jahrhundertealte Weinbautradition vor dem Aussterben bewahrten.
Von der italienischen Weinbibel Vini d'ltalia. vulgo »Gambero Rosso«. wurde er jüngst mit der prestigeträchtigen Auszeichnung »Kellerei des Jahres« geadelt. Das hat Signalwirkung für die gesamte Region, die aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht und zuletzt auch führende Weingüter wie Planeta und die Tenuta diTrinoro des Grafen Andrea Franchetti auf den Plan gerufen hat. Zum zweiten Mal erst
geht diese Auszeichnung nach Sizilien, Planeta war vor einigen Jahren der erste, dem sie verliehen wurde. »Wir sind sehr stolz, für Weine belohnt zu werden, die sicherlich nicht einfach zu produzieren und in hohem Maß vom Terroir geprägt sind. Damit steigt der Ätna zu den bedeutendsten Anbaugebieten Italiens auf«. freut sich Benanti. Probiert man seine Kollektion durch, wird einem schnell klar. dass man es hier tatsächlich mit höchst individuellen Weinen zu tun hat, die überhaupt nicht in das herkömmliehe Geschmacksbild mediterraner Weine passen. Sie wirken trotz reifer Frucht deutlich »nördlicher« und finessenreicher. Sie bringen eine innere Spannung zwischen Süße, Kühle und mineralisch-feurigen Noten mit - fast als wollten sie den Schnee auf und das Feuer im Vulkan zum Ausdruck bringen. Ein spannendes Aromen-Potpourri, das die Geschmacksnerven herausfordert. Das liegt zum einen am kühlen Mikroklima, das hier auf 500 bis 1000 Metern herrscht und den extremen Temperaturunterschieden zwischen den im Sommer heißen Tagen und den kühlen Nächten. Das sorgt für eine verzögerte Reifeentwicklung und trägt dazu bei, dass Aromen und Säure erhalten bleiben. An den Hängen des Ätna ist es so kühl, dass die sizilianischste aller Rebsorten. Nero d'Avola, erst gar nicht reif wird. In den höheren Lagen hat in manchem Jahren sogar die angepasste Nerello Sorte Mühe, vollständig auszureifen. Vor allem liegt es aber an dem variantenreichen Vulkangestein. das den Weinen seinen unvergleichlichen Stempel aufdrückt: mal rot-gelber, mal schwarz-brauner Lavasand , jeweils reich an Mineralstoffen, Eisen und Schwefel.
Fidel im Glas
An Hand der älteren Jahrgängen macht man sich am besten ein Bild von der Klasse und Langlebigkeit dieser Gewächse. Der 2000er Pietramarina, der rebsortenrein aus Carricance besteht, zeigt etwa erst jetzt sein großes Potenzial. Selbst der 96er Pietramarina steht noch erstaunlich fidel im Glas. Diese Weine sind am ehesten mit guten Burgundern oder Loire-Gewächsen zu vergleichen, im Alter erinnert die Kerosinnote - wie beim 96er Pietramarina - auch ein wenig an gereifte Rieslinge. Zurückhaltende Noblesse kennzeichnet den Wein, keine überbordende Frucht, sondern zarte floral-kräutrige und mineralische Noten mit erstaunlich viel Frische. »Die Carricante-Traube reift relativ spät, liebt das kühlere Klima auf den höheren Ebenen und bringt langlebige Weine, die sich durch eine ausgeprägte Säurestruktur auszeichnen«, erklärt Foti. Ähnlich das Bild bei den Roten von Benanti: Der Serra delle Contessa aus 2000 von bis zu 100 Jahre alten, teilweise wurzelechten Reben beeindruckt eher durch seidige Eleganz als durch pure Kraft. Ein vielschichtiger Wein mit würzig untermalter Waldbeerenfrucht und wieder mit diesen faszinierenden feuerstein-mineralischen Noten. Gewächse, die man in Punkto Eleganz, Kühle und Tanninstruktur eher im Piemont als in Sizilien vermuten würde.
Herausforderung Steillage
Zum Abschluss wollen wir uns den Extremweinbau aus nächster Nähe anschauen und fahren an die Ostseite des Ätna, wo Ciro Biondi besonders alte steile Weingärten vor dem Verfall rettete. Seine Weinberge erinnern an so manche Mosel-Steillagen. Gut zweihundert Meter Höhenunterschied legen wir von Terrasse zu Terrasse zurück bis in die letzten Winkel seiner Weingärten auf 900 Metern, die er durch das arbeitsintensive Anbringen von Trockenmauern aus Lavastein »dem Vulkan peu a peu abgerungen« hat. Biondis Weine belohnen all die Mühen. Schon die Basisweine überzeugen. Der aus Carricante gekelterte weiße »Gurna« duftet nach Honig und Jasmin. Der »Rosso« kann trotz der weicheren Cabernet-Noten seine Herkunft nicht verleugnen: Die ausgeprägt rauchige Art verrät ihn. Beeindruckend ist der »Outis« aus den ortstypischen »Nerello«-Trauben
Region mit Potenzial
Dem Zauber des Ätna ist auch Andrea Franchetti erlegen, der sich bereits in seinem toskanischen Maremma Weingut Tenuta di Trinoro mit raren Weinen einen Namen gemacht hat. Er gründete vor einigen Jahren in Passopisciaro das gleichnamige Weingut. Dort keltert er aus der Nerello-Traube einen eleganten Roten, der sich ebenfalls in den Reigen der Drei-Gläser-Kandidaten vom Ätna einreiht.
Es scheint die Stunde des Ätna-Weins zu sein. So viele Erfolgsmeldungen auf einmal gab es noch nie. Doch das Ätna-Terroir ist nicht einfach, und seine Winzer müssen einiges an Kosten und Mühen aufwenden. Sieht man sich dabei die außerordentlich hohe Qualität und Eigenständigkeit der Weine an, so dürften der Aufwand und die Anstrengungen über die aktuellen Auszeichnungen hinaus belohnt werden. Die Region beginnt gerade erst, ihr großartiges Potenzial auszuschöpfen.
Zurück zu den Wurzeln
Lange galten die Inselweine als die Antwort Italiens auf die Neue Welt-Weine. Doch nach dem ersten Boom mit internationalen Rebsorten besinnen sich Siziliens Weinmacher auf die einheimischen Sorten. Eine Strategie, die die wirklichen Pionierweingüter wie Tasca d'Almerita und Duca di Salaparuta mit ihren Topweinen aus Nero d'Avola - Rosso dei Conte« und »Duca Enrico« bereits seit Jahrzehnten erfolgreich umsetzen.