GG 2021 – DIE JAHRGANGSANALYSE

«Ein Handwerksjahr» Rettung in letzter Sekunde

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Nach dem Hitze-Triple war 2021 ein regelrechter Kontrast. Ein kühles und regenreiches Jahr wie lange nicht mehr. Ging es in den Vorjahren unter anderem darum, die Reife zu verzögern, so war 2021 ein «Back to the roots»: Die Winzer mussten stellenweise um physiologisch reife Trauben kämpfen. «Ein Jahrgang wie früher», sagten mir viele Winzer. So trennte sich schnell die Spreu vom Weizen. Die besseren Rieslinge sind jahrgangstypisch schlank, engmaschig und mit vibrierender Spannung. Die besten 2021er haben eine grandiose mineralische Brillanz, Kühle und Feinheit. In unserer engen Spitze gibt es einige Beispiele solch exzellenter «Cool-Climate»-Weine. Aber es gab auch wieder einige fragliche Weine, die säuerlich und ausgezehrt mit wenig Substanz und Tiefe wirkten – und damit dem hohen Anspruch eines Großen Gewächses (GG) nicht entsprachen. Drei Tage lang haben wir uns im Team mit Daniela Dejnega, Frank Kämmer MS und Thomas Boxberger durch die inzwischen etwas reduzierte Menge von immer noch stattlichen rund 450 (!) GGs durchverkostet.

Die VDP-Winzer hätten sich zum 20.Jubiläum sicher ein einfacheres Jahr gewünscht. Auf der anderen Seite war es eine wirklich spannende Abwechslung zu den drei vorangegangen warmen Jahren. Endlich wieder Frische und vibrierende Säure, hatten wohl viele gedacht. Aber es stellte sich schnell raus, dass der herausfordernde Jahrgang auch seine Tücken hat und sehr heterogen ausgefallen ist. Nicht nur wegen der teils sehr rassigen Säure, die den Zahnschmelz vieler Verkoster über mehrere Tage hinweg arg beutelte. Ich hatte das auch lange nicht mehr gehabt, obwohl mich ein Jahrzehnt Rheingau mit so kühlen Jahrgängen wie 2008, 2010, 2013 und 2014 ja schon gut abgehärtet hatten. Und durch die warmen Jahre hatte man das Gefühl ja schon fast wieder vergessen, aber spätestens beim Zähneputzen waren die Erinnerungen an die «alten Zeiten» wieder ganz präsent.

Abgesehen davon sind einige Weine zu leicht und für meinen Geschmack auch zu restsüß geraten – gerade an der Mosel. Hier und da auch an der Nahe und in der Pfalz. Entsprechend fehlt es einigen Weinen an Substanz, Tiefe und Länge für ein würdiges Großes Gewächs. Man hat den Eindruck, einige dieser schlanken Ballerinen wären lieber ein Ortswein oder ein Wein aus Erster Lage. An der Mosel war das Spiel mit der Restsüße besonders ausgeprägt. Dort haben einige Winzer versucht, die hohe Säure des kühlen Jahres mit Restzucker zu kaschieren, was bei einigen Weinen den Eindruck von «süßsauer» mit apfeligen und zitrischen Adstringenz- Noten hinterlassen hat. Sicher wird auch der eine oder andere zum schwierigen Mittel der Entsäuerung gegriffen haben. Diese Weine brechen dann ab dem Midpalate plötzlich ab und hinterlassen etwas Hohles.

Ein herausforderndes Jahr – Rettung in letzter Sekunde

Die Lese war vielerorts herausfordernd. Das nasse Frühjahr und der viele Regen während der gesamten Vegetationsperiode sorgten für enorme Peronospora - und später Infektionsdruck mit Botrytisschüben – doch nicht überall gleich. Skelettreiche Böden wie etwa im Rüdesheimer Berg und anderen Steillagen hatten es etwas einfacher. So sagte mir Tim Fröhlich: «Ich erinnere mich, dass ich mehrere Wochenenden inklusive Sonntage auf dem Schlepper saß. Mit optimaler Terminierung und idealer Laubarbeit gab es keine Probleme. Wir hatten kerngesunde Trauben.» Glücklicherweise waren die Nächte kühl, so dass es zu keiner galoppierenden Fäulnis kam. Selbst die Sommermonate Juli und August blieben eher kühl und feucht, erst im September setzte endlich eine lang ersehnte spätsommerliche Witterung ein, die für ein Ausreifen der Trauben dringend benötigt wurde.

Dieser Spätherbst hat den Jahrgang buchstäblich in letzter Sekunde gerettet. So gibt es auch in 2021 in der sehr kleinen Spitze einige bemerkenswerte Rieslinge, die man sich in den Keller legen sollte.

Das Traumpaar machte traumhafte Weine – am Roten Hang und im Wonnegau

«Ein gnadenloses Handwerksjahr – Fehler wurden nicht verziehen»

Hans-Oliver Spanier, der mit Battenfeld-Spanier und Kühling Gillot, zwei grandiose Kollektionen gemacht hat, bringt es in einem Satz auf den Punkt: «2021 war ein gnadenloser Handwerksjahrgang – es wurden keine Fehler verziehen». Für Peter Bernhard Kühn war es ein herausforderndes, aber auch spannendes Jahr. «Die Weine haben dem kühlen Charakter des Jahrgangs entsprechend ein klar konturiertes geschmackliches Gesicht», sagt er. Ähnlich äußert sich Wilhelm Weil, der vom «Cool-Climate-Jahrgang» schwärmt und Philipp Wittmann sagt stellvertretend für viele: «Wer weiß, wann wir wieder einen solchen kühlen Jahrgang haben, wobei die Klimadaten mit 1990 vergleichbar sind, damals wurde das als großes Jahr mit guter Reife gefeiert.» Insofern würde ich schon sagen, dass der Jahrgang wirklich etwas Besonderes ist. Die Weine werden aber ihre Zeit brauchen.»

Für Klaus Peter Keller bot der Jahrgang große Chancen: «Für hochwertige trockene Weine brauchte man aber kleine Erträge und alte Reben.» Für ihn ist es deswegen ein «tolles Kabinett-Spätlese-Jahr», auch wenn seine trockene Kollektion wieder zu den Besten des Landes gehört.

Für Frank Schönleber war der Pflanzenschutz entscheidend. Den musste man in den Griff bekommen wegen der regelmäßigen Schauer und der ungewöhnlich hohen Luftfeuchtigkeit, so Schönleber. Für Hansjörg Rebholz war aber der Peronospora-Druck nicht qualitätsentscheidend. «Man verliert in erster Linie Ertrag, aber nicht Qualität», sagte er im Interview mit mir (siehe im Heft Seite 29, Erscheinung 05.10.2022).

Es wird ohnehin spannend sein, wie die warmen und trockenen Jahrgänge wie 2018 bis 2020 einerseits und das kühle Jahr 2021 andererseits in zehn Jahren dastehen. Aus der Erfahrung wissen wir, dass so manch kühler Jahrgang die warmen Jahre à la longue überholt hat.

Gewinner des Jahrgangs – Punktwertungen unter dem Vorjahr

Sieger des Jahrgangs 2021 sind für mich die Regionen Rheinhessen und Nahe, ein paar Spitzen gab es auch aus der numerisch großen Pfalz, dem Rheingau und der Mosel. Die ersteren beiden Regionen machen die Top 10-Plätze fast alleine unter sich aus. Dort finden sich die besten Weine von Keller, Battenfeld-Spanier, Kühling-Gillot, Wittmann, Schäfer- Fröhlich, Dönnhoff und Emrich-Schönleber. Recht homogen ohne große Ausreißer nach unten und nach oben zeigte sich der Rheingau mit territorial kühlen Bergweinen vom Gräfenberg (Weil) und Rüdesheimer Berg (allen voran Breuers Schlossberg) und mit Schloss Johannisberg meldet sich ein Großer an der Spitze zurück. Allerdings waren die meisten Weine im Rheingau aus 2020.

Die Mosel zeigte sich recht heterogen, wobei die bekannten Spitzenwinzer wie Clemens Busch, Schloss Lieser, Heymann-Löwenstein und Knebel lieferten.

In der Spitze gab es wieder einige herausragende Weine, die durchaus mit den besten anderer Jahrgänge auf Augenhöhe sind. Im Mittelfeld und im Unterbau zeigten sich die Unterschiede zu den starken, homogeneren Jahren am meisten. Da liegt der Jahrgang deutlich unter den Vorjahren, wo Mutter Natur gnädiger war und den Winzern weniger abverlangte.

 

Höchstnote 19.5 /20

Ausgepunktet haben wir bis zu der herausragenden Note von 19.5/20 (98/100). Das erreichten allerdings nur zwei Weine, Kellers energetische Abtserde und Tim Fröhlichs neuer, super finessenreicher Versteigerungswein «Final». Auf 19+/20 kamen vier Weine, zwei aus Rheinhessen und einer von der Nahe und dem Rheingau. Auf 19/20 kommen immerhin noch 13 Weine, davon sieben aus 2021. Sie verdienen das Attribut «Weltklasse». Auch 18.5/20 und 18/20 sind herausragende Noten für Weine, die zu den besten des Landes gehören und gerne auf die Kaufliste dürfen. Hier findet man den größten Unterschied zum Vorjahr. Es sind deutlich weniger Weine, die diese Punktzahl erreicht haben. Rheinhessen sehe ich in diesem Jahr sogar einen Tick vor der Nahe. Von hier kommen die meisten Siegerweine, vor allem profitierte der Rote Hang von den kühlen Bedingungen, aber auch der Wonnegau mit seinen Kalk-Tonböden brachte einige Rohdiamanten zu Tage.

In der Pfalz, die in diesem Jahr überwiegend von meinem Kollegen Thomas Boxberger bearbeitet wurde, war das Bild zweigeteilt: Die Gewinner kommen aus der Südpfalz und teilweise von der Mittelhardt. Bei den 2021er hat diesmal der Birkweiler Kastanienbusch von Dr. Wehrheim die Nase vorne, vor seinem Kollegen Rebholz, dicht gefolgt von Bürklin-Wolf und einigen Weinen von Bassermann- Jordan und Rings. Wir durften recht exklusiv die 2020er-Kollektion von Von Winning probieren, die einige herausragende Weine bietet.

Im Rheingau siegten bei den 2021er Weils Gräfenberg und Breuers Schlossberg, beide sind so kühl, fokussiert und engmaschig wie lange nicht mehr. Überhaupt ist Breuers gesamte Kollektion ein Ausdruck von «Cool-Climate-Bergweine»: puristisch mit pikanter, nicht sparsamer Säureprägnanz. Eine grandiose Kollektion kommt von Kühn, dessen
2021er Weine wunderbar ausgewogen sind, die 2020er GGs sind durch die Bank feiner und präziser geworden und gehören zur Regionsspitze. Den Vogel abgeschossen hat Peter Bernhard Kühn aber mit den 2020er Unikaten – beide habe ich mit 19.5/20 bewertet und gehören damit zum besten, was ich in diesem Jahr an Riesling probiert habe. Ein Spezial hierzu folgt in WW 10/21. Ausgezeichnete Weine kommen von Schloss Johannisberg (siehe Spezial zum herausragenden «Goldlack» auf Seite 19), von Oetinger, Spreitzer, Prinz und Jung.

Nasser Frühling und kühler, regenreicher Sommer

Auf einen vergleichsweisen milden Winter folgte ein kühler und nasser Frühling. Dieser kühle Frühling erwies sich jedoch in manchen Regionen als Glücksfall, denn er bedeutete, dass die Triebe noch nicht sehr weit fortgeschritten waren, als der Frost im Mai über einige Regionen hereinbrach.

Die Blüte war spät und etwas ungleichmäßig. Im Juli und August war es insgesamt kühl und bewölkt, und die Vegetation reifte im Laufe des Sommers nur sehr langsam.
Zum Glück verbesserte sich das Wetter im September deutlich, was den Trauben einen Reifeschub gab. Im Gegensatz zu den letzten Jahrgängen begann die Weinlese spät, nämlich erst im Oktober und dauerte oft bis in den November hinein. Das sonnige, aber kühle Wetter sorgte dafür, dass die Trauben zwar reif wurden, der Säuregehalt aber bis zum Schluss hoch blieb.

Herausforderung für Bio-Betriebe

Natürlich war 2021 fast überall ein Jahr, das vielen biologisch arbeitenden Winzern Risiken und Ertragseinbußen ihrer Anbaumethode ganz deutlich bewusst machte. Denn trotz bester Weinbergsarbeit und sorgfältigstem Pflanzenschutz waren Ertragsverluste nirgends zu vermeiden. Rebholz führt hierzu aus: «Uns machte ein früher Befall vor der Blüte sehr große Probleme, da man als Öko- beziehungsweise biodynamisches Weingut dann nur mit‚ stumpfen Waffen‘ kämpfen kann. Dies sorgte in der Folge für deutliche Ertragseinbußen, was sich am Ende aber bei der recht verspäteten Vegetation und Traubenreife in 2021 sogar noch als ein Vorteil und Glück im Unglück erwies, weil bei uns im Weingut dank Menge- Güte-Gesetz die perfekte Reife überall ohne Probleme erreicht werden konnte. Gott sei Dank hat Peronospora, im Gegensatz zu den anderen Pilzinfektionen, keine direkte negative Auswirkung auf die Weinqualität!»

Weiße und rote Pinots

2021 ist bei den weißen Pinots schon eine bemerkenswerte Zäsur im Vergleich zu den Vorgängern. Besonders beim Weißburgunder ist dies deutlich spürbar: Während diese Weine in den letzten Jahrgängen immer "burgundischer" geworden sind mit geschmeidig-seidiger Eleganz, haben viele 2021er eine geradezu "rieslinghafte" Art mit lebhafter Rasse und gewissem Grip im Finish. Gerade in der Pfalz wird dies deutlich, wo viele Weißburgunder in 2021 eine gewisse pflanzliche Komponente aufweisen, die manchmal sogar etwas an einen Touch Sauvignon erinnert. Aromabeschreibungen wie Limette oder kandierter Zitrus waren nicht selten. Das muss nicht unbedingt negativ sein, erfordert aber ein gewisses Umdenken beim Verkosten.

Die roten Pinots zeigten sich recht homogen und ich hatte den Eindruck, es gab weniger Ausfälle als in manchen Jahren davor. 2020 ist ein eleganter, feiner Jahrgang und ich würde ihn durchaus auf Augenhöhe mit 2019 einordnen, einige wenige sogar drüber und viel besser als die oft doch kraftvollen und alkoholreichen 2018er.

Auch wird das Tannin- und Holzmanagement bei den deutschen Pinots immer besser. «2020 war ein warmes trockenes Jahr mit sehr niedrigen Erträgen und kleinen aromatischen Trauben. Ich sehe ihn zwischen 2018 und 2019. Die Kraft der Weine und ihre einladende Frucht erinnern an 2018, aber mit etwas mehr Frische und Feinheit», sagt mir Sebastian Fürst. «In der Reihe der drei warmen Jahre würde ich 2018 als das gehaltvollste und 2019 als das verschlossenste und 2020 als das eleganteste Jahr einordnen», resümiert er.

Auch Julian Huber, der wieder eine grandiose Kollektion hinlegte, meint, dass 2020 «vielleicht am meisten die Richtung andeutet, in der sich deutscher Spätburgunder entwickeln könnte.» Die Richtung stimmt, an einigen Stellschrauben wie etwa Klon- und Standortauswahl, feines Holz, Ganztraubenpressung und vor allem Tiefe und Länge muss allerdings noch gefeilt werden. Und vielleicht sind im Durchschnitt die Erträge einfach noch zu hoch.

FAZIT: Heterogenes Jahr, in der Spitze energetische und kühle Weine

2021 erbrachte eher schlanke und kühle Weine mit ziemlich packender Säure, großer Frische und in den besten Fällen territorialer Ausprägung. Kühle Jahre bringen das Terroir stärker heraus, heißt es. Davon gab es tatsächlich einige Exemplare, die vielleicht erst in 10 Jahren ihre ganz große Klasse zeigen werden. Bei den Regionen siegten Rheinhessen und die Nahe. Unser Titelbild zeigt deswegen den "Roten Hang", der gerade in kühlen Jahren herausragt. Leider gibt es aber auch einige Weine, die einfach dünn, ausgezogen-karg und säuerlich wirken und dem GG-Anspruch nicht genügen. Da hatten einige Winzer nicht den Mut gehabt, die Trauben ausreifen zu lassen und ernteten zu früh gelesene Trauben. Die Weine wirken in allen Prädikatsstufen eher leicht, was ja eine willkommene Abwechslung zu den letzten Jahrgängen ist. Mein Eindruck ist, dass es gerade an der Mosel ein ausgezeichnetes Kabinett- und Spätlese-Jahr war. Einige Kabinette, die ich probiert habe, waren den GGs ebenbürtig oder sogar überlegen. Wer die Auktionen in Trier und bad Kreuznach verfolgt hat, dürfte sich nicht wundern. Die Preise für diese Ballerinen gingen regelrecht durch die Decke (siehe meine Live-Berichterstattung auf Instagram unter winejournalist_weinwisser)