Bordeaux 2020: Die mythische Trilogie im Rückblick

Von Giuseppe Lauria und Tjark Witzgall

 

Nach den beiden großen Jahren 2018 und 2019 kündigte sich schon während der Primeurs in Bordeaux ein weiteres Jahr von ausgezeichneter Qualität an. Ein Jahr, das unter den etwas trostlosen und schwierigen Bedingungen der Pandemie entstanden ist und doch – fast zum Trotz – am Ende so viel Freude bereitet. Als wollte «Mutter Natur» uns im Pandemiejahr 2020 Trost spenden. Im Rückblick ein doppeltes Glück: Die Pandemie ist überwunden, während die Weine großartig geblieben sind. Ein reifes, warmes Jahr von einerseits großzügiger Fülle mit dunkelbeeriger Frucht und Charme, andererseits von erstaunlicher Tiefe, Präzision und Festigkeit. Reife Frucht und große Frische – ein Balanceakt, der in dieser Form wohl nur in besonderen Jahren auf besonderem Terroir so ausgezeichnet gelingt. Dabei war auch 2020 mit Blick auf den Wetterverlauf in Bordeaux ziemlich herausfordernd. Wie so oft regnete es in der ersten Jahreshälfte viel, dann folgte eine lange Phase ohne Wasser mit Trockenstress. Doch am Ende drehte ein idealer Sommer mit kühlen Nächten und teils erlösenden Schauern das Blatt vielerorts zu einem Happy End. Die Terroirs mit wasserspeichernden Reserven wie etwa den tiefgründigen Lehm- und Tonböden in Pomerol oder das Kalksteinplateau in St.-Émilion hatten hier ganz klar Vorteile.

Unsere Nachverkostungen haben es bestätigt: Mit 2020 ist das dritte herausragende Jahr in Folge gelungen. Jedenfalls für die meisten Appellationen! Wer damals mutmaßte, es könnte vielleicht ein Pandemiebonus im Spiel gewesen sein, den dürfen wir noch einmal ganz schnell beruhigen. Der Jahrgang ist überwiegend groß, weil vieles zusammenpasste. Aber nicht überall. Gut versorgte (alte) Rebstöcke auf ausgezeichnetem Terroir, ein warmer, trockener Sommer mit kühlen Nächten. Dazu die Erfahrung der Weinmacher mit dem dritten warmen Jahrgang in Folge. Jean-Sébastien Philippe, Direktor International Châteaux von Domaines Barons de Rothschild (Lafite) fand hier die prägnanteste Beschreibung: «Ein Jahrgang der Gegensätze und der Teamarbeit». In jedem Fall lohnte es sich zu kaufen, denn die Preise sind deutlich angezogen.

 

Im Zeichen der Pandemie

2020 litt unter den erschwerten Bedingungen der Pandemierestriktionen, so dass die «Human Ressources» beschränkt waren. Ich erinnere mich gut. In den vielen Zoom-Tastings war immer wieder zu hören: «Jeder musste im Weinberg ran. Auch die Leute aus dem Office.» Und freilich stand die gesamte Primeurs-Kampagne unter dem Druck der Pandemie. Denn die Château-Besitzer und Gutsverwalter hatten auf die damaligen Unsicherheiten reagiert und die Preise für den 2019er um rund 30 % gesenkt – eine längst fällige Korrektur nach den Übertreibungen davor, was sicherlich zum großen Erfolg der Kampagne beigetragen hatte. Klar, der Preis war heiß. Smarte Bordeaux-Liebhaber witterten die vielleicht einmalige Chance und schlugen gut zu. Beim 2020er war man beim Pricing wieder recht selbstbewusst. Doch dazu später mehr.

 

Großes Jahr, aber heterogen

2020 bestätigt sich in vielen Teilen als großes Jahr und gilt zurecht mit 2018 und 2019 als «mythisches Triple». Und freilich gab es in der Geschichte von Bordeaux schon einige Male eine Trilogie (und mehrere Doubles). Man denke etwa an die Jahrgangsfolge 1988, 1989 und 1990 oder an 2009 und 2010 sowie an 2015 und 2016.

Es ist sicherlich etwas heterogener als 2019. In der Spitze und in den meisten Appellationen aber durchaus auf Augenhöhe. In den hinteren Reihen wird es dann schon heterogener mit im «Mid-Palate» teilweise dünnen Weinen und staubigen Gerbstoffen. Für Sie als Weinliebhaber war es nach 2019 die erneute Chance, die 1er Crus links und rechts der Gironde und die sonstige Bordeaux-Elite so günstig wie lange nicht mehr einkaufen zu können. Die Top- Scorer sind neben den bekannten Ikonen wie Lafite, Haut-Brion und Margaux am linken Ufer erneut Pichon Comtesse, Pichon Baron, Smith- Haut-Lafitte, Léoville Barton, Léoville Poyferre, Lynch-Bages, Les Carmes Haut-Brion, Saint- Pierre, Rauzan-Ségla, Haut-Bailly, Giscours, Pape-Clément und Domaine de Chevalier. Hier finden sich auch viele unserer Kaufempfehlungen und «Best Buys». Am insgesamt leicht favorisierten rechten Ufer thronen Figeac, L’Evangile und Trotanoy mit grandiosen Weinen, dicht gefolgt von La Conseillante, Lafleur-Pétrus und Hosanna. Aber auch Angélus, Canon, Clos Fourtet, Pavie Macquin, La Mondotte, Canon-La-Gaffelière sind großartige Weine.

 

Zahlreiche «Best Buys»

Nicht zuletzt sollte man neben den begehrten Namen auf die «Best Buys» achten, die erneut weit unter 50 € notieren (siehe auch unsere Liste der Empfehlungen am Ende dieses Reports, die nur für Abonnenten in der Datenbank verfügbar ist!). Denn trotz der erwähnten Heterogenität gibt es davon zahlreiche. Phélan Ségur hat wieder einen ausgezeichneten Wein gemacht, ebenso Lagrange, Langoa Barton und de Pressac. In diesem Jahr gefallen uns auch La Lagune und Cantemerle aus der unteren Preisklasse besser als im Vorjahr. Es gibt wirklich zahlreiche preisWERTE Weine, die sogar für unter 30 € zu haben sind. Wir sagen es immer wieder: Bordeaux muss nicht teuer sein! Und in solchen Jahren brillieren ja bekannterweise selbst kleinere und unbekanntere Güter aus den hinteren Reihen. Hier sollte man sich unbedingt folgende Weine anschauen: Du Retout, Cambon la Pelouse, Montfollet, La Dauphine, Labégorce, Laroque, Mayne-Lalande und viele andere. Manche davon dürften nur rund 25 € kosten. Ein Eldorado für Einkäufer.

 

«HOT BUYS» nach Preisklassen

 

ECO: unter ca. €30.-

  • Du Retout
  • Cambon la Pelouse
  • Capbern
  • Montfollet
  • La Dauphine
  • Labégorce
  • Peymouton
  • Juguet
  • Clément Pichon
  • Fontenil
  • Lussac
  • Cantemerle

 

Business: ca. €40 – €100.-

  • Croix de Labrie
  • Clos Dubreuil
  • Larcis-Ducasse
  • Bourgeneuf
  • Latour á Pomerol
  • Grand-Puy-Lacoste
  • Léoville-Barton
  • Phélan-Ségur
  • Domaine de Chevalier rouge
  • Giscours

 

First: über ca. €100.-

  • Smith Haut Lafitte
  • Cos d’Estournel
  • Léoville-las-Cases
  • Pichon-Baron
  • Pichon Comtesse Lalande
  • Figeac
  • Pavie Macquin
  • L’Evangile
  • Trotanoy

 

Hat sich die Subskription gelohnt?

Die Frage, die sich zuletzt immer wieder mal gestellt hat. Lohnt die Subskription? Darauf gibt es von uns ein ganz klares JA! Vom 2019er wollen wir gar nicht reden. Das war pandemiebedingt ein Schnäppchen und die Top-Weine sind heute deutlich teurer. Und wie ist es mit 2020? Ähnlich. Schauen wir uns dazu ein paar Zahlen an. Nach der sensationellen 2019er Kampagne, die aufgrund der Covid-Krise mit zu 30 % Abschlägen gehandelt wurde, kletterten die Preise bei vielen 2020er auf das Niveau des 2018er. Obgleich viele Top-Châteaux ihre Allokationen deutlich verringert haben, gibt es dieses Jahr mehr Weine zum Nachkaufen. Während die beiden Pauillac-Stars Pontet-Canet und Lynch-Bages im Vergleich zu den Primeurs um 20 % und 22 % gestiegen sind, kostet Rauzan-Ségla aktuell sogar 44 % mehr bei einem Nachkauf. In der Regel sind hier plus 20 % üblich, damit der Vorteil der Subskription ersichtlich ist, dies ist etwa bei Haut-Bailly (+22.9 %) oder Cos d’Estournel (+20 %) der Fall. Es gibt aber auch andere Châteaux, die ihre Preise nur leicht angehoben haben wie Canon-La-Gaffelière (+7.4 %) oder Sociando Mallet (+11.8 %). Auf der anderen Seite gibt es Weine, die aktuell nicht nachkaufbar sind, wie etwa Smith Haut Lafitte (+25 % für den Rouge), Léoville-Poyferré oder Ducru- Beaucaillou mit seinem einzigartigen Jubiläumsetikett. Dazu gibt es in der kommenden Primeurs- Ausgabe ein Spezial von Chefredakteur Giuseppe Lauria, der Bruno Borie beim Rheingau Gourmet Festival getroffen hat.

Neben diesen Sammlerstücken gibt es eine Reihe von wundervollen Bordeaux für jeden Tag, die nur darauf warten von Ihnen entdeckt, gekauft und getrunken zu werden. Als Abonnent haben Sie bereits bei der Primeurs-Ausgabe von unseren Top-Empfehlungen profitiert, jetzt haben wir noch einmal nachverkostet und die Liste aktualisiert, auch wenn es nur wenig Anpassungsbedarf gegenüber unserer Primeurs- Einschätzung gab. Und eines ist klar. Im Fine- Wine-Bereich sind unabhängige und kompetente Einschätzungen goldwert. Durch kluges Einkaufen können hier schnell mehrere tausend Euro an Mehrwert zusammenkommen. Es lohnt sich also immer, den WEINWISSER zu abonnieren. Zumal wir derzeit Neuabonnenten mit einem hochwertigen Zalto-Universalglas beschenken.