(c) Leif Carlsson

Siziliens autochthone Renaissance: Die magischen Weine des Ätna

In kaum einer anderen Weinregion Italiens hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten so viel getan wie auf der größten Mittelmeerinsel. Lange galten sizilianische Weine als die Antwort Italiens auf die Neue Welt. Doch nach dem Boom mit internationalen Rebsorten fokussieren sich die Weinmacher inzwischen auf einheimische Sorten. Vor allem am Hotspot Ätna, aber auch in anderen Anbaugebieten der Insel, wachsen eigenständige Weine mit Herkunftscharakter!

Wer Sizilien kennt, der weiß, dass es sich um eine faszinierend schöne Insel voller Gegensätze handelt. Mit Blick auf den Wein gleicht sie einem Weinkontinent. Denn so vielfältig wie die kontrastreichen Landschaften und kulturellen Einflüsse der Insel, so facettenreich zeigen sich auch die Weine. Vom schneebedeckten Ätna im Nordosten bis hin zum ariden Brutofen im Süden der Insel wachsen auf unterschiedlichen Terroirs und Kleinklimazonen Weine, die den landschaftlichen Spannungsbogen widerspiegeln. Und nach dem großen Erfolg der einst einfacher zu vermarktenden Weine aus internationalen Rebsorten wie Cabernet Sauvignon und Chardonnay, ist seit gut zwei Jahrzehnten eine echte autochthone Renaissance im Gange. Auf dieses enorme indigene Erbe und sein enormes Potenzial habe ich bereits in meinem allerersten Beitrag vor 20 Jahren hingewiesen.

Im Bann des Vulkans

Für viele ist der Ätna das derzeit spannendste Weinbaugebiet in Europa. Denn was hier in den vergangenen zwei Dekaden passiert ist, ist schlicht phänomenal. Mit diesem Aufstieg ist auch meine eigene journalistische Karriere eng verbunden. Denn 2004, also vor genau 20 Jahren, schrieb ich meinen ersten weinjournalistischen Beitrag mit dem Titel «Siziliens autochthone Renaissance», den man heute noch auf der Online-Plattform wein.plus lesen kann.

Ein gutes Jahr später folgte mein preisgekrönter Beitrag über den Extremweinanbau am Ätna – und seiner unerwartet kühlen und eleganten Weine. Damals war dort gerade mal eine Handvoll Winzer am Werk. Heute sind es rund 170 Produzenten, die an den unterschiedlichen Hängen mit ihren Weinen von sich reden machen.

Als ich 2003 das erste Mal die engen kurvigen Straßen hinauf zum Ätna fuhr, fielen mir direkt zwei Dinge ins Auge: Die allgegenwärtigen erstarrten schwarzen Lavaströme, die einen unwirklichen Charakter haben, nicht selten besiedelt von gelbleuchtenden Ginsterbüschen – ein regelrechtes schwarz - gelbes Meer, das bei Fußball-Fans Assoziationen zur Nordkurve des BVB aufleben lässt. Ähnlich steil hinauf gehen einige Weinberge. Zum anderen die teils steilen, oft aufwändig terrassierten Weingärten mit ihren sehr alten, knorrigen Alberello-Reben, die hier glücklicherweise noch weit verbreitet sind. Dass in den vergangenen Jahren auch die alten Ätna-Rebsorten wie Nerello Mascalese und Nerello Cappuccio bei den Roten sowie Carricante und Minella bei den Weißen stärker in den Fokus geraten, ist eine konsequente Fortsetzung dieser Rückbesinnung.

Die Ätna-Pioniere

Echte Pionierarbeit am Vulkan hat der alteingesessene Cavaliere Giuseppe Benanti geleistet. Zusammen mit seinem ehemaligen önologischen Berater Salvo Foti, einem der gefragtesten Kenner des autochthonen Rebenmaterials der Insel, waren sie schon in den 90ern vom großen Potenzial des Ätna überzeugt. In einer Zeit, als der Ätna im Dornröschenschlaf lag und noch Weinberge gerodet wurden, weil sie unwirtschaftlich waren. Heute sind die Top-Lagen begehrt wie nie zuvor und erreichen astronomische Preise. Und wer einen alten «Pietramarina» Etna DOC aus den weißen, auf rund 900 m.ü.M. wachsenden Carricante-Trauben ins Glas bekommt, spürt, dass hier schon lange Top-Weine gemacht werden. Weißweine, die locker 20 Jahre reifen können und blind an einen hypothetischen Blend aus gereiftem Riesling und Loire-Weinen erinnern. Auch heute noch – oder wieder – ist der Pietra marina ein Kultwein, der exemplarisch für den unverwechselbaren mineralischrauchigen Zug der Weißweine im Südwesten des Vulkans rund um Milo steht. Das gleiche gilt für einen gereiften «Serra della Contessa» von Benanti aus Nerello Mascalese aus einem 100 Jahre alten Weinberg mit teils wurzelechten Stöcken.

Wie Phönix aus der Asche

Der entscheidende – auch mediale – Schub kam aber erst mit den Ätna-Neuankömmlingen Andrea Franchetti von Passopisciaro und Marc de Grazia von Tenuta delle Terre Nere. Ihre kristallklaren Rotweine von burgundischer Eleganz, die am Nordhang des Vulkans entstehen, lösten einen echten Boom aus. Dazu kamen später Vorzeige-Betriebe wie Planeta, Cusumano und Tasca d’Almerita, die in der Contrada Sciaranuova auf 750 m.ü.M. beeindruckende, von alten Lavatrockenmauern umgebenen Terrassenlagen erworben haben. Durch große Investitionen und mit einem konstruktiven Miteinander mit den bereits ansässigen Betrieben belebten sie die jahrhundertealte Weinbautradition am Ätna auf breiter Basis wieder. Sie alle setzten sich vor allem für eines ein: Die Fortentwicklung der Appellation nach dem burgundischen Cru-Prinzip, sprich die Herausarbeitung von Herkünften, die hier – anders als die enggefassten Single Vineyards – als Contrade etwas weiter gefasst sind. Heute hat man eine Katalogisierung eben dieser «Contrade» geschaffen, die unterschiedliche Herkünfte unterstreicht, um die daraus folgende individuelle Besonderheit des Mikroterroirs auf die Flasche zu bringen. Ein sicher noch lange nicht abgeschlossener Prozess, denn Alberto Graci betont: «Hier am Ätna wechseln nicht nur alle paar Hektar Boden und Mikroklima, sondern auch die Höhe und der spezifische Lava-Flow, also von welchem Ausbruch die Lava im Untergrund stammt. Das können ein paar hundert Jahre sein oder sie stammen vom letzten großen Ausbruch 1981, der hier die Nordflanke veränderte.»

Die Geschichten hinter so manchem Weingut klingen wie das Drehbuch für einen Kinofilm. So wie die von Alberto Graci. Der Sohn einer sizilianischen Bauernfamilie absolviert ein Studium in Rom und wird bereits in jungen Jahren erfolgreicher Investmentbanker in Mailand. Der Tod des Großvaters verändert den steilen Aufstieg. Er kehrt zurück und wird Winzer.

Obwohl sich die Hektarpreise seit meinem ersten Artikel nahezu verzehnfacht haben, war der leider zu früh verstorbene Andrea Franchetti überzeugt, dass sich der Ätna «noch am Anfang des Booms» befände. Das sagte er mir noch vor rund fünf Jahren. Er sollte recht behalten, denn seitdem sprießen weitere Weingüter wie Phoenix aus der Lavaasche. Franchetti war auch der Ideengeber der jährlich stattfindenden Veranstaltung «Contrade dell’ Etna», bei der alle renommierten Ätna-Produzenten gemeinsam ihre Weine präsentieren.

Kein Zweifel: Die Region ist seit Jahren im Aufbruch und zieht immer mehr Weinmacher und Weinfreaks an. Einer der ersten war Frank Cornelissen. Der Belgier erwarb vor mehr als 20 Jahren ein paar gute Parzellen mit alten, wurzelechten Rebstöcken rund um Randazzo. Mit seinem streitbaren «nonintervention»-Stil naturbelassener und ungeschwefelter Amphorenweine mit wechselhaften Resultaten hat auch er viel zur Bekanntheit der Appellation beigetragen. Seine Weine gehören inzwischen zu den bestbewerteten und auch teuersten Weine am Ätna. Man kann Frank nur beglückwünschen, kein anderer auf ganz Sizilien hat eine derart krasse stilistische Wendung und Qualitätssteigerung hingelegt. Heute sind seine Weine aus den einzelnen Contrade markant mineralisch, engmaschig und finessenreich.

Dem Zauber des Berges

Dem Zauber des Berges waren auch die ebenfalls viel zu früh verstorbene Winzerin Silvia Maestrelli aus der Toskana (Tenuta di Fessina) und der Quereinsteiger Peter Wiegner aus der Schweiz erlegen, der sich bei Randazzo den Traum des eigenen Weinguts erfüllte, das seit rund zehn Jahren von seinem Sohn Marco betrieben wird. Auch einer der gefragtesten Top-Önologen Italiens ist längst am Ätna. Carlo Ferrini hat mit Tochter Bianca ein kleines Juwel namens Alberelli di Giodo geschaffen. Zwei Weine, die es in sich haben. Mineralisch-schnörkellos, ausdrucksvoll und mit eleganter Substanz. Die Zahl der Neuankömmlinge ist groß. Dazu gehören unter anderem der 2010 gegründete Betrieb Tenute Bosco oder Theresa Eccher, deren Weingut in Solicchiata (Castiglione di Sicilia) auch wurzelechte Präphylloxera- Reben besitzt. Ein weiterer Stern am Ätna- Himmel ist die ungemein sympathische Familie Maugeri. Sie produziert vornehmlich Zitrusfrüchte und betreibt neben dem gerade im Bau befindlichen Weingut ein super stylisches Spa-Hotel mit einem sehenswerten Sternerestaurant, das im kostbaren Menü unserer Weinreisen einen festen Platz hat.

Auch der erfolgreiche und umtriebige Eataly-Gründer und Fontanafredda-Besitzer Oscar Farinetti aus dem Piemont konnte dem Charme des Vulkans nicht widerstehen. In Zusammenarbeit mit dem sizilianischen Weinunternehmer Francesco Tornatore hat er das Projekt Carranco ins Leben gerufen. Das rege Interesse an alten Weingärten hat auch die einheimischen Winzer wachgerüttelt: Erfreulich dabei ist, dass viele junge Weinmacher vom Ätna längst selbst zu den Stars der Szene gehören. Wie der bereits erwähnte Alberto Graci, der nebenbei auch die Weinlinie «Idda» des charismatischen Angelo Gaja keltert. Dessen Ankunft am Ätna im Jahre 2016 löste einen Donnerschlag aus. Ein weiteres Eigengewächs ist Giuseppe Russo, der eigentlich Musiker werden wollte. Nach dem Tod seines Vaters stand er vor der Entscheidung: Musik oder die alten Weinberge der Familie pflegen. Seine Weine gehören längst zu den besten der Appellation. Der Trend, dass der Winzernachwuchs statt im Weinberg zu arbeiten lieber im lukrativen Büro sitzt, hat sich glücklicherweise umgekehrt. Ein Satz aus meinem Beitrag, der der Jury des «Premio Madre Mediterraneo» damals besonders gefiel: «Warum zieht man einen anonymen Anwaltsjob im nebligen Mailand vor, statt das Erbe von einzigartigen 100 Jahre alten Reben auf terrassierten Lavaböden zu pflegen.» Inspiriert zu diesem Satz hat mich Francesco Cambria, dessen engagierte Familie mit dem Weingut Cottanera ebenfalls zu den Pionieren gehört. Seine Schwester Mariangela Cambria ist derzeit die Präsidentin des Verbands Assovini, er selbst Präsident des Ätna-Konsortiums.

Genau darum geht es auch bei dem von Salvo Foti ins Leben gerufenen Projekt «I Vigneri». «Wir wollen nicht nur authentische Terroir-Weine machen und die uralte Wein- Tradition am Ätna wiederbeleben, sondern auch den lokalen Bauern und dem Winzernachwuchs eine Perspektive bei fairer Entlohnung geben,» erklärt Salvo Foti. So werden alte Weinbergslagen mit aufwendigen Trockenmauern aus Lavastein naturgetreu restauriert und terrassiert, «damit das über Jahrhunderte überlieferte Know-how nicht verloren geht», so Foti. Der ehemalige Berater vieler Ätna-Güter hat längst in Milo sein eigenes Weingut gebaut: in einem sehenswerten antiken Palmento, den er sogar noch fürs Weinmachen nach alter Sitte nutzt.

Viele Spätstarter wie etwa das sehenswerte, in schwarzer Lava gehaltene und kunstvoll gestaltete Weingut Pietradolce haben es in einer Dekade an die Spitze geschafft. Die Kellerei befindet sich im verschlafenen Solicchiata. Die Brüder Michele und Mario Faro – beide passionierte Weinsammler und als Blumen- und Großpflanzenhändler über die Landesgrenzen hinaus bekannt – legen den Schwerpunkt auf die autochthonen Rebsorten Nerello Mascalese, Nerello Cappuccio und Carricante.

Die Trauben von Pietradolce gedeihen auf einer Anbaufläche von elf Hektar in 600 bis 900 m.ü.M. in besten Lagen, die durch Zukäufe in den vergangenen Jahren deutlich angewachsen sind. Die Böden sind steinig und leicht, enthalten neben Vulkangestein sandigen Lehm und weisen viele mineralische Elemente auf. Die ausschließlich familieneigenen Weinberge sind in verschiedene Abschnitte unterteilt, von denen die Mehrzahl im Gebiet von Rampante und einer in Zottorinoto liegt. Zum Portfolio zählen auch zwei rund 80 Jahre alte Weingärten mit Alberello-Erziehung, einer davon liegt in einem kleinen Waldstück als ziemlich einzigartiges Amphitheater. Dort wächst der rare Top-Wein Barbagalli. Betriebsleiter ist hier der fleißige Giuseppe Parlavecchio.

Weinanbau bis hinauf zu 1100 m.ü.M.

Am Ätna entstehen auf steilen Lava böden, mit einem für diese Breitengrade erstaunlich kühlen Klima, die außergewöhnlichsten Weine Siziliens: Weine mit großer Feinheit und mineralischer Kühle, die von den extremen Tag-Nacht-Temperaturunterschieden und den mineralreichen Böden profitieren. Überraschenderweise nicht nur die Roten, sondern auch die Weißen! Besonders die Weißen rund um Milo haben das Potenzial, zu den besten Italiens zu gehören. Hier ist das Klima deutlich feuchter und die Böden sind nochmal anders.

Der Weinbau stößt besonders im Norden des Vulkans wegen der extremen geoklimatischen Verhältnisse in den Höhenlagen an die Grenzen des Machbaren: Extrem-Weinanbau bis hinauf zu 1.100 m.ü.M. – Wetterkapriolen inklusive. Denn hier wechselt das Klima ständig. Die Regenwahrscheinlichkeit ist – je nach Gebiet – bis zu drei Mal so hoch wie im restlichen Sizilien. Die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht sind extrem. Auch die Bodenstrukturen wechseln ständig . Und Lava ist nicht gleich Lava. Die Böden reichen von schwarzem, über rötlichen bis hin zu gelblichem Lavasand, je nach Eisen-, Schwefel- und sonstigem Mineralgehalt.

Allein der Ätna ist also für sich genommen schon ein kleiner Weinkontinent. So schmecken die Weine rund um das magische Dreieck Randazzo – Passopisciaro – Castiglione im Nordosten des Vulkans noch kühler und eleganter als die der südlichen Ausläufer: Es sind «Cool-Climate»-Weine, die eher an Burgund oder die Weine aus den Langhe im Piemont erinnern.

 

Straffe Weine aus dem Südosten

Aber auch in anderen Teilen der Insel besinnt man sich stärker auf die Herkunft. Besonders aus dem Südosten der Insel zwischen Vittoria, Noto und Pachino – für viele die Ursprungsregion des Nero d’Avola – kommen schon seit Jahrzehnten spannende Weine, die nichts, aber auch rein gar nichts mit den marmeladigen Nero d’Avola aus anderen Gebieten der Insel gemein haben. Allen voran steht das von Salvo Foti beratene Weingut Gulfi für einen unverwechselbaren Nero d’Avola-Stil. Diese Nero d’Avola fallen je nach Bodenart unterschiedlich aus, sind straff und elegant, zeigen eine erstaunlich nervige Säurestruktur und reifen hervorragend. Dies gilt auch für Nero d’Avola aus gebirgigen Höhenlagen, wie etwa im Inselinneren in der DOC Contea di Sclafani – wo Tasca d’Almerita auf seinem Vorzeigegut Regaleali seit Jahrzehnten einen hervorragenden Nero d’Avola keltert, der beim «Rosso del Conte» den Ton angibt. Auch der reinsortige Cabernet Sauvignon und noch mehr der Chardonnay Vigna San Giuseppe sind Weine, die keinen internationalen Vergleich scheuen müssen. Ähnliches gilt für die exzellenten Weine von Planeta, Cusumano oder von Donnafugata, deren Süßwein Ben Ryé von der wunderschönen Insel Pantelleria ein Kaleidoskop bester sizilianischer Patisserie-Kunst ist.

Eigenständig und mit klarem Profil sind auch die Weine aus der einzigen DOCG-Zone rund um Vittoria. Der aus Nero d’Avola und Frappato bestehende «Cerasuolo di Vittoria» ist ein höchst individueller Wein. Eine historische Cuvée, die auch leicht gekühlt pure Trinkfreude auslöst. Der aromatische Frappato verleiht ihm die unkopierbare Eleganz und Leichtigkeit. Schwachfarbig erinnert er mit seinen knackig-frischen Noten von Himund Erdbeeren, Minze und roter Johannisbeere eher an einen leichtfüßigen Gamay als an einen Wein, der unweit der afrikanischen Küste angebaut wird. Und das oft mit moderaten 13.0 Vol.-%. Alteingesessene Betriebe wie COS, wo bei einem Teil der Weine die Amphore den Ton angibt, oder Valle dell’Acate machen hier seit Jahren charaktervolle Weine. Spannend sind dabei die reinsortigen Frappato. Ein längst gefeierter Star in diesem Gebiet ist die biodynamisch arbeitende Winzerin Arianna Occhipinti, die Nichte von Giusto Occhipinti von COS, einem der Pioniere. Im Mikroklima von Vittoria, wo eine frische Brise vom Meer etwas Abkühlung für die Reben bringt, keltert die temperamentvolle Sizilianerin eigenständige Terroir-Weine mit Ecken und Kanten, die mit zu den besten der Insel gehören.

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Sizilien ist ein Weinkontinent – autochthone Renaissance

Aber zurück zur Vielfalt und dem Weinkontinent: Exemplarisch kommt dies bei den alteingesessenen Vorzeigebetrieben wie Planeta und Tasca d’Almerita zum Ausdruck, die Weinberge in unterschiedlichen Gebieten der Insel besitzen: Ihre Weinlese zieht sich über drei Monate! «Wir beginnen im August mit den frühreifen Sorten im südwestlichen Menfi und schließen Ende Oktober mit dem Nerello Mascalese auf dem Ätna ab», bringt es Alessio Planeta auf den Punkt. In kühlen Jahrgängen kann sich die Lese am Ätna auch weit bis in den November hinziehen, wie etwa Alberto Graci und Marc de Grazia berichten. Eigentlich kaum zu glauben, dass im südlichen Mittelmeer solche «cool climate»-Bedingungen herrschen, die so frische und mineralisch geprägte Weine hervorbringen. Sogar mit Riesling auf rund 900 m.ü.M. wird experimentiert. In Planetas Ätna-Cuvée «Eruzione 1614» standen lange dem Carricante fünf Prozent Riesling zur Seite. Auch das Weingut La Baronia in Capo Milazzo gegenüber den Äolischen Inseln ist Teil von Planeta, hier haucht man der antiken Rebsorte Nocera neues Leben ein. So ein Juwel-Bewahrer ist auch das von Giuseppe und Alberto Tasca geführte Tasca d’Almerita. Schon ihr Vater Lucio hat den Grillo auf der kleinen phönizischen Insel Mozia wiederbelebt: ein toller mineralischer Weißwein für relativ kleines Geld. Ebenso beeindruckend ist ihr Engagement auf der wunderschönen Insel Salina, wo Tasca einen herrlich süffigen Moscato erzeugt und nebenbei ein grandioses 5-Sterne-Hotel direkt am Meer betreibt. Im Hotel Capofaro setzt das Unternehmen auf Nachhaltigkeit und authentische Küche, die auf selbst angebautem Gemüse und vielen weiteren lokalen Produkten basiert.

Auch anderswo geben urwüchsige Rebsorten wie Perricone, Grillo, Inzolia, Catarratto, Moscato und Malvasia zunehmend den Ton an. Die beiden Letztgenannten eignen sich besonders für die beachtlichen Passito-Weine – echte lokale Schätze, die Herkunft und Individualität zeigen. Auf diese autochthonen Wurzeln kann Sizilien weiter bauen.

Ich war damals schon der Überzeugung, dass der Rückgriff auf autochthone oder andere mediterrane Sorten den veränderten klimatischen Bedingungen möglicherweise aufgrund der historischen Adaption gerechter würde. Diese Einstellung scheint sich durchgesetzt zu haben. Nicht nur auf Sizilien ist man inzwischen der Überzeugung, dass man mit Blick auf die Epigenetik auf bewährtes DNA-Material zurückgreifen sollte.

Und der Ausblick ist weiter positiv: Viele der Weine, die ich im Mai auf meiner individuellen Weinreise verkostet habe, konnten überzeugen. Und mit 2021 ist einer der besten Jahrgänge der vergangenen Jahre in den Handel gekommen. Die Verkostungsnotizen der jüngsten Jahrgänge stammen haupthauptsächlich von der jährlich stattfindenden und bestens organisierten Veranstaltung «Le Contrade dell Etna» und von meinen privaten Weinreisen. Im nächsten Jahr folgt dann ein großes Sizilien-Spezial, das der großen Vielfalt der Insel Rechnung trägt.

Apropos: Wer sich die Einzigartigkeit hautnah anschauen möchte, im kommenden Jahr findet wieder meine kulinarische Weinreise statt. Interessenten können sich gerne per E-Mail bei mir melden.